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Aufgrund ihres Krankheitsbildes ziehen sich dementiell veränderte Menschen in ihr Inneres zurück. Sie tun dies, weil sie mit ihrem aktuellen Leben nicht mehr zurecht kommen, weil die äußere Realität sie überfordert. Die erlittenen hirnorganische Verluste können sie nicht ausgleichen; vom Verstand her können sie ihr Leben nicht mehr bewältigen. So leben sie oftmals in Szenen der Vergangenheit, die filmartig vor ihrem inneren Auge ablaufen. Das, was sie aktuell erleben und fühlen, verschlüsseln sie in ihr vergangenes Leben hinein. Dort kennen sie sich noch einigermaßen aus. Sie kombinieren aktuelle Gefühle und alte Erlebnisse, die ihnen im Langzeitgedächtnis zur Verfügung stehen. Zugang zu dieser Erlebniswelt bekommen wir nur über ein einfühlendes Nachspüren (Empathie) und die Kenntnis jener Lebensbilder, die die Demenzerkrankten bevorzugt aufsuchen, in denen sie meinen, noch leben zu können oder in denen sie vielleicht sogar leben müssen. In der täglichen Kommunikation ist die Biografiekenntnis ein hervorragender Ansatzpunkt für ein Gespräch. Wir wissen dann zum Beispiel, über welche Themen sich der Bewohner besonders gerne unterhält und wir können bei den Themen ansetzen, von denen wir wissen, dass sie der Bewohner noch beherrscht (ressourcenorientiert).

Eine angemessene und gute Betreuung ist nur dann möglich, wenn wir ihre innere Welt, ihre Wahrnehmungen, ihr Erleben und ihre Denkvorgänge verstehen. Deshalb ist es wichtig zu wissen, dass eine demenzerkrankte Person im Anfangsstadium ihre Defizite voll wahrnimmt. Sie merkt, dass sie neue Informationen leicht vergisst, dass sie oft Gegenstände verlegt und nicht mehr finden kann, dass ihr Namen von Bekannten nicht mehr einfallen und sie Verabredungen mit ihnen vergisst. All dies löst Gefühle der Angst aus, Angst davor, die Kontolle über das eigene Leben zu verlieren: „Wie soll das bloß weitergehen? Wer kümmert sich um mich und meine Angelegenheiten, wenn ich das immer weniger selbst tun kann?“ Diese und ähnliche Fragen bewegen einen demenzerkrankten Menschen im Anfangsstadium der Erkrankung. Hinzu kommen häufig noch Schamgefühle, dass andere die Leistungseinbußen bemerken könnten.


Im weiteren Verlauf der Erkrankung wird die Realität für den Betroffenen zunehmend unverständlich und unerklärbar. Situationen und Informationen können nicht mehr in einen größeren Kontext eingeordnet werden. Aus dieser Befindlichkeit heraus entsteht beim demenzerkrankten Menschen das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit. Es ist z.B. häufig zu beobachten, dass sie in einer solchen Situation der Bezugsperson permanent folgen oder immer wieder dieselben Fragen stellen. Es ist auch hier oft sehr viel Angst, um nicht zu sagen Panik mit im Spiel, die zunehmend dazu führt, dass sich diese Personen immer mehr in die innere Welt der Vergangenheit zurückziehen, weil diese Welt ihnen ein Stück weit Sicherheit und Vertrautheit zu geben vermag.


Der niederländische Autor Bernleff hat in seinem Buch „Hirngespinste“ das Erleben eines Demenzerkrankten zu beschreiben versucht. Demnach besteht die Welt eines demenzerkrankten alten Menschen nur noch aus flüchtigen und beziehungslosen Situationen, die nicht mehr abgespeichert und daher auch nicht mehr reflektiert werden können. In seinem Roman läßt er den Kranken sagen:


„Ohne Erinnerung kannst Du nur noch schauen.

Dann gleitet die Welt spurlos durch Dich hindurch.“


Wenn es uns gelingt, uns in diese Situation einzufühlen, erhalten wir eine Ahnung von der Ratlosigkeit, Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung, die in einem demenzerkrankten Menschen ausgelöst werden können.


Ähnlich ist es in dem Film von Marion Kainz „Der Tag, der in der Handtasche verschwand“. Der Film zeigt, wie die an Demenz erkrankte Frau Mauerhoff die Welt um sie herum wahrnimmt. Die alte Dame kämpft um Erinnerung:


„Wenn ich doch nur einen Anhaltspunkt hätte.

Wer könnte mir Auskunft über mich geben?

Wo kennt man mich?“


Der Dokumentarfilm hatte kein Happy-End: Frau Mauerhoff blieb zurück voller Beunruhigung, Angst und Panik:


„Ich bin vollkommen verloren, wenn ich mich nicht erinnern kann.

Es ist aus. Ich weiß nicht mehr weiter. Da ist eine dunkle Wand

vor mir. Kann ich nicht irgendwo hingehen, wo man mich

kennt, damit ich Anhaltspunkte habe?“

Demenzerkrankte Menschen sind bereits im fortgeschrittenen Anfangsstadium nicht mehr in der Lage, dasjenige, was sie sehen und erleben, abzuspeichern, d.h. sie leben ohne Erinnerung an jüngst Vergangenes. Während das Kurzzeitgedächtnis mehr oder weniger stark angegriffen ist, können Langzeitgedächtnisinhalte jedoch noch lange Zeit recht gut abgerufen werden.